Wasserweltlerin

Alex Krull verschafft dem Element Wasser ästhetische Präsenz in ihren Bildräumen. Ihr Wasser ist eine glasklare, staubfreie und durchsichtige Materie, die erst durch Lichtbrechungen an der Oberfläche unruhig und als bewegt sichtbar wird. Diese Klarheit und das erwartbare Blau als Reflexion des Himmels haben ihre Werke, weil sie überwiegend Schwimmhallen als Orte ihrer Motivwelt wählt. Hier herrscht Sauberkeit und Stille in den Unterwasserbereichen, von blauen und weißen Kacheln hinterlegt und in der Lichtausbeute von Edelstahlarmaturen, Griffen und Treppen verstärkt.
Intensives Tageslicht bestimmt die hellen Bildfarben, die durch Rottöne von Bahnentrennungen belebt werden. Gelegentliche dunkelblaue Schatten verweisen auf die Außenwelt am Beckenrand, vermögen aber die Brillanz der Bildwelt nicht zu verdüstern. Gradlinige Kanten und Flächen durchziehen die gläserne, kristallin spiegelnde Bildwelt aus angeschnittenen Schwimmbadszenerie-Details, werden aber durch Schrägzüge, leichte Krümmungen und Diagonalen aus monotoner Statik in einen Zustand schwebender Lebendigkeit verschoben. Als vollends bewegte Gegenpole wirken aus der Unter- oder Überwasserperspektive eingefügte Zonen von leicht kabbeligen Wellen, auf denen Licht und Schatten tanzen und die Fliesengeometrie der Becken ins Schlingern geraten lassen.

Mit einer Kenntnis und Beobachtung von Brechungsvorgängen, die sie u.a. an Darstellungen von Glasmurmeln gewonnen hat, vermag ihre hohe malerische Fähigkeit die Illusion von Wasserfülle aufrecht zu erhalten. Dabei gleitet sie nicht ins Flächige und Stumpfe gefärbten Wassers ab, wie mittelalterliche Malerei oder die graphischen Swimmingpool-Experimente David Hockneys, obwohl sie nur die Oberflächenhaut der zerlegten Reflexionen darstellt und durchaus grafische Kürzel für Lichtphänomene einsetzt. Man kennt die Vorbilder aus manchen Schwimmbadaufenthalten, hier werden aber die möglichen Fotovorlagen auch nicht penibel kopiert. In kalligraphienaher Linearität ist das Schwallwasser mit seinen langsamen Wogen, aber kleinteilig zerlegten Reflexen als freie Malerei glaubwürdig wiedergegeben. Und doch ist die flüchtige Verzerrtheit eine Erfindung der Malerin. Trotz allem sind die abstrakten, figurlosen Wasserszenarien ausgewogen. Ihre Hell-Dunkel-Verteilung, ihr Austarieren von Gradlinigkeit und biomorphen Kurvaturen findet einen realistischen Motivanker in kompositorisch ausgesuchten Schwimmbadfragmenten, die ein freies Spiel von abstrakten Flächen und Linien ermöglichen. Dergestalt wird die Wirklichkeitsdarstellung auch bei Schwimmerinnen durch deren Ausschnitthaftigkeit zum verfremdeten Formspiel. Die Gemälde schaffen freundliche Bildraumirritationen oder Momente des Innehaltens, die für das Licht- und Farbspiel mit dem Medium Wasser begeistern. Letztlich begeistern die leicht entrückten Sujets der Bilder für Malerei und die Fähigkeit Illusionen und Atmosphäre zu schaffen. Die Werke verschaffen den reizvollen Details urbaner Wasserwelten einen Eigenwert, der Sehen lehrt und Wasser nicht nur darstellt, sondern spürbar macht.

Dr. Dirk Tölke, Kunsthistoriker und Kurator, 2022

  Waterwoman

Alex Krull gives the element of water an aesthetic presence in her pictorial spaces. Her water is a crystal-clear, dust-free and transparent matter, which only becomes restless and visible as moving through refractions of light on the surface. Her works have this clarity and the expectable blue as a reflection of the sky, because she chooses mainly swimming pools as places for her motif world. Cleanliness and stillness reign here in the underwater areas, backed by blue and white tiles and enhanced in the light output of stainless steel fixtures, handles and stairs.
Intense daylight dominates the bright visual colors, enlivened by reds from path dividers. Occasional dark blue shadows refer to the outside world at the edge of the pool, but are not able to darken the brilliance of the picture world. Straight edges and surfaces pervade the glassy, crystalline, reflective pictorial world of cropped swimming pool scenery details, but are shifted from monotonous static to a state of floating liveliness by diagonal pulls, slight curvatures and diagonals. Zones of slightly choppy waves inserted from an underwater or above-water perspective act as fully animated counterpoints on which light and shadow dance, causing the tile geometry of the pools to lurch.

With a knowledge and observation of refraction processes, which she has gained from depictions of glass marbles, among other things, her high painterly ability is able to maintain the illusion of water fullness. At the same time, she does not slide into the flatness and dullness of colored water, like medieval painting or David Hockney's graphic swimming pool experiments, although she only depicts the surface layer of the dissected reflections and certainly uses graphic abbreviations for light phenomena. One knows the models from many a swimming pool visit, but here the possible photo templates are not copied meticulously either. In calligraphy-like linearity, the gushing water with its slow waves, but small-divided reflections is credibly reproduced as free painting. And yet the fleeting distortion is an invention of the painter. Despite everything, the abstract, figureless water scenarios are properly balanced. Their light-dark distribution, their balancing of linearity and biomorphic curvatures finds a realistic motif grounding in compositionally selected swimming pool fragments that allow a free play of abstract surfaces and lines. In this way, the depiction of reality also becomes an alienated play on form in the case of female swimmers through their cropping. The paintings create friendly pictorial space irritations or moments of pause, which inspire the play of light and color with the medium of water. Ultimately, the slightly rapturous subjects of the paintings inspire painting and the ability to create illusions and atmosphere. The works provide the charming details of urban water worlds an intrinsic value that instructs seeing and not only represents water, but makes it tangible.

Dr. Dirk Tölke, Art historian and curator, 2022
Kalte Fliesen, metallische Handläufe, leere Schwimmreifen treiben wie zufällig durch die Bilder von Alex Krull. Ihr aufmerksamer Blick fängt all die unbeachteten Dinge ein, kehrt in genau kalkuliertem Bildaufbau deren sterile Ästhetik hervor. Mehr noch, denn die trügerische Schwimmbad-Idylle ist menschenleer. Verlassen liegt es da, das spiegelnde Wasser, in dem allein betrachtende Blicke ihre Bahnen ziehen. Nicht selten wird dieser Blick mit einer Leiter oder Treppenstufen konfrontiert. Sind sie Einstieg oder Ausstieg? Sie gewähren Ausblick auf die scheinbare Nähe des Grundes, den die durchscheinende Oberfläche offenbart und der über etwaige Untiefen hinwegtäuscht. Bis bei längerem Hinschauen der Boden plötzlich grundlos wird. Die Angst vor dem Sprung ins kalte Wasser sich regt, wenn die Realität von unten betrachtet verschwimmt, die Welt mit einem Mal ganz anders aussieht. Dort, wo fest auf flüssig trifft, dem Anschein nach fotorealistisches Arbeiten von nah den Pinselduktus erkennbar lässt. Zu den Rändern hin da wirft das Wasser manchmal Wellen, lässt all die ihm innewohnenden Möglichkeiten ahnen, eingefangen in der künstlichen Badewelt. Was aber, wenn ein Blinzeln reicht und da nichts doppelbödiges mehr ist? Wenn Krulls Bilder nichts mehr und nichts weniger als eine Hommage an die alltägliche Schönheit des Augenblicks sind.

Julia Stellmann. 2022, Kunstkritikerin, Kunsthistorikerin, 2022

  Cold tiles, metallic handrails, empty swimming hoops drift through Alex Krull's pictures as if by chance. Her attentive gaze catches all the unnoticed things, brings out their sterile aesthetics in a precisely calculated composition. What's more, the deceptive swimming pool idyll is deserted. It lies there abandoned, the reflecting water, in which only contemplative glances take their courses. Not infrequently, this gaze is confronted with a ladder or steps. Are they the entrance or the exit? They provide a view of the apparent proximity of the bottom, which the translucent surface reveals and which conceals any shallows. When looking at it for a prolonged period of time, the ground suddenly becomes bottomless. The fear of jumping into the cold water is evoked when reality becomes blurred when looked at from below, when the world suddenly looks completely different. There, where solid meets liquid, seemingly photorealistic work from close up makes the brushstroke recognizable. Towards the edges, the water sometimes casts waves, foreshadowing all its inherent possibilities, captured in the artificial sea world. But what if one blink is enough and there is nothing ambiguous left? Perhaps Krull's pictures are nothing more and nothing less than a homage to the everyday beauty of the moment.

Julia Stellmann, Art critic, art historian, 2022
Warum eigentlich Wasser?

Ohne Wasser kein Leben. Etwa 71 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt, davon ist nur circa ein Prozent Süßwasser. Auch der menschliche Körper besteht zu etwa 70 Prozent aus Wasser - es ist ‚fons et origo’, die Mutter von allem, was existieren kann. Die frühen Hochkulturen entstanden daher in der Nähe des Wassers, so die ägyptische am Nil, die babylonische an Euphrat und Tigris, die chinesische am Huanghe und die indische am Indus. Die Entwicklung aller Kulturen ist durch Auseinandersetzungen mit dem Wasser tief geprägt worden. In seiner „Kulturgeschichte des Wassers“ (Frankfurt a. M., 1988) bezeichnet Hartmut Böhme das Wasser als „absolutes Phänomen“, da seiner Meinung nach die weitgespannten Dimensionen des Menschen – Geschichte, Kulturen, Ökologie sowie Körper und Seele – von diesem Element bestimmt sind. Wasser beschäftigt Naturforscher und Ökologen, Religions- und Literaturwissenschaftler, Psychoanalytiker, Kulturforscher – und eben auch Künstler. Natürlich vor allem wegen seiner existenziellen und kulturellen Bedeutung für das Menschenleben, aber auch wegen seiner physischen Eigenschaften. Jeder weiß: Wasser hat drei Aggregatzustände, fest, gasförmig und flüssig. Noch dazu ist es flexibel, fließend, ursprünglich farblos und amorph, also form- beziehungsweise gestaltlos. Monika Wagner bringt es in ihrem Buch „Das Material der Kunst: Eine andere Geschichte der Moderne“ (München, 2001) auf den Punkt: „Wasser ist ein ideales korrespondierendes Material, das seine Umgebung wiederspiegelt, wobei jegliche Bewegungen auf dem Wasser Spiegelerscheinungen beeinflussen können.“

Diese Beobachtung ist es, die mich zu meinem Sujet gebracht hat. Dabei liebe ich vor allem die Ästhetik, die von diesen Spiegelungen ausgeht. Sie sind flüchtig, verändern sich in Bruchteilen von Sekunden, je nach Lichteinfall und Wasserbewegung – und sind dabei immer schön. Mich fasziniert der Kontrast zwischen der strengen Geometrie der Schwimmbecken und der organisch fließenden Bewegtheit des Wassers, das alle Formen und Gradlinigkeiten zu spielerischen Figuren verzerrt und so eine einmalige komplexe Ästhetik schafft, die in der Realität nicht reproduzierbar ist. Die Malerei hingegen kennt diese Grenze nicht, und so halten meine genau diese flüchtigen Momente fest.


Alex Krull, 2022

The question is: Why water?

Without water, there is no life. About 71 percent of the earth's surface is covered with water, of which only about one percent is fresh water. The human body also consists of about 70 percent water - it is 'fons et origo', the mother of all that can exist. The early advanced civilizations therefore began to develop near sources of water, such as the Egyptian on the Nile, the Babylonian on the Euphrates and Tigris, the Chinese on the Huanghe and the Indian on the Indus. The development of all cultures has been deeply influenced by confrontations with water. Hartmut Böhme, in his "Kulturgeschichte des Wassers" (Frankfurt a. M., 1988), calls water an "absolute phenomenon" because, in his opinion, the wide-ranging dimensions of mankind - history, cultures, ecology as well as body and soul - are determined by this element. Water occupies natural scientists and ecologists, religious and literary scholars, psychoanalysts, cultural researchers as well as artists. This is of course primarily because of its existential and cultural significance for human life, but also because of its physical properties. Everyone knows that water has three states of aggregation: solid, gaseous and liquid. In addition, it is flexible, flowing, naturally colorless and amorphous, i.e. without form or shape. Monika Wagner explains it in her book "Das Material der Kunst: Eine andere Geschichte der Moderne" (Munich, 2001): "Water is an ideal corresponding material that reflects its environment, whereby any movements on the water can cause reflections."

This observation is what brought me to this subject of mine. Above all, I love the aesthetics that emanate from these reflections. They are fleeting, changing in fractions of a second, depending on the incoming light and the movement of the water and yet, they are always beautiful. I am fascinated by the contrast between the strict geometry of the pools and the organically flowing movement of the water, which distorts all forms and straight lines into playful figures, creating a unique complex aesthetic that cannot be reproduced in reality. In contrast, there is no such limit when it comes to painting, and thus my work captures precisely these fleeting moments.


Alex Krull, 2022
ALEX KRULL - 50127 BERGHEIM / KÖLN - post@alexkrull.de - 0176.45151516